Johanna Honisch: Time heals all wounds? | Part III

Der vom französischen Philosophen Voltaire (1694 – 1778) geprägte Spruch „Die Zeit heilt alle Wunden | Le temps adoucit tout“ entwickelte sich im Laufe der Jahrhunderte zu einem allgegenwärtigen, tröstenden Spruch, der sein Eigenleben, aufgedruckt auf diversen Materialien, ausgesprochen oder abgewandelt in verschiedenen Medien, seinen Widerhall fand und findet. Generationen von Menschen zitierten und zitieren diese Worte, um auf trennende, unbegreifliche und unausweichliche Erlebnisse eines anderen zu reagieren und die Hoffnung auf eine Besserung des Schmerzes zu erwecken.

Die Künstlerin Johanna Honisch thematisiert in ihren Arbeiten die Frage nach dieser Zeit. Aber was ist die Zeit? Wie entsprechen Metaphern wie diese der Wirklichkeit? Wie konservierten Generationen vor uns den Augenblick? Welche Überlieferungen überdauerten Menschenalter und erzählen immer noch von alten Traditionen, Geschichten und Persönlichkeiten? Wie werden Erinnerungen wach gehalten?

In ihren Arbeiten greift die Künstlerin verschiedene Kulturtraditionen auf und transformiert sie in die Gegenwart zu zeitlosen, immer erinnernden Skulpturen und Objekte, die durch sie im Hier-und-Jetzt verankert, aber noch von der Vergangenheit erzählen und so die Traditionen lebendig erhalten.

The saying „Time heals all wounds | Le temps adoucit tout“, coined by the French philosopher Voltaire (1694 – 1778), developed over the centuries into a ubiquitous, comforting saying that has and continues to find its own echo, printed on diverse materials, spoken or modified in various media. Generations of people have quoted and continue to quote these words in response to another’s divisive, incomprehensible and inescapable experiences, and to inspire hope for an amelioration of the pain.

The artist Johanna Honisch addresses the question of this time in her works. But what is time? How do metaphors like these correspond to reality? How did generations before us preserve the moment? Which traditions have survived the ages and still tell of old traditions, stories and personalities? How are memories kept alive?

In her works, the artist takes up various cultural traditions and transforms them into the present to create timeless, ever-remembering sculptures and objects that are anchored by them in the here-and-now but still tell of the past, thus keeping the traditions alive.

 

Kranz, 2022, Gips, Durchmesser 80 cm | Wreath, 2022, plaster, diameter 80 cm

Wie sehr die Form des Kranzes in der Geschichte der Menschheit ein begleitender Part war und ist, wird bereits seit der Antike gewahr: In Form der Unendlichkeit des Kreises, der weder Anfang noch Ende kennt und somit die Vollkommenheit symbolisiert, wurde vor allem ein mit immergrünem Lorbeer gewundener Kranz als Zeichen des römischen Gottes Jupiters einem Sieger überreicht oder bei den griechischen Olympischen Spielen den Gewinnern verliehen. Verschiedentlich wurde auch Eichenlaub verwendet oder es wurden als symbolistische Erhöhung die pflanzlichen Elemente in Gold ausgeführt.

Der Siegeskranz fand in den weiteren Jahrhunderten verschiedene Bedeutungsmöglichkeiten und wurde symbolisch aufgeladen aufgrund der Verwendung verschiedenster Pflanzen bzw. wurde auch in der bildenden Kunst in diversen Materialien ausgeführt und in Bau- oder Kunstwerken integriert. In der christlichen Tradition gilt der Kranz weiterhin als ein Zeichen des Sieges. Jedoch bedeutete dies in unseren Tagen ausschließlich den Triumph über den Tod und den Übertritt in die Unendlichkeit und das Ewige Leben. Deshalb wird auf Beerdigungen ein Kranz als Zeichen der Anteilnahme und des Verlustes auf die Grabstätte gelegt.

How much the form of the wreath was and is an accompanying part in the history of mankind has been noticed since ancient times: In the form of the infinity of the circle, which knows neither beginning nor end and thus symbolises perfection, a wreath wound with evergreen laurel was above all presented to a victor as a sign of the Roman god Jupiter or awarded to the winners at the Greek Olympic Games. Occasionally, oak leaves were also used or the plant elements were executed in gold as a symbolic enhancement.

In the following centuries, the victory wreath found different meanings and became symbolically charged through the use of various plants and was also used in the visual arts in various materials and integrated into buildings and works of art. In the Christian tradition, the wreath is still regarded as a sign of victory. However, in our days it exclusively signified triumph over death and passage into infinity and eternal life. Therefore, a wreath is placed on the gravesite at funerals as a sign of sympathy and loss.

 

Ein aus Blumen gewundener Kranz dürfte laut Überlieferungen von jungen germanischen Frauen zu Hochfesten im Haar getragen worden sein und war ein Ausdruck der Freude. Im Mittelalter hatte sich der Brauch weiterhin gefestigt und Menschen trugen Kränze zu verschiedenen Anlässen und Festen. Wobei vielerorts der Kranz im Haar einer Frau als Merkmal ihrer Jungfräulichkeit gedeutet wurde und sich der Brauch des Brautkranzes daraus entwickelte. Unzweifelhaft signalisiert der Kranz auch die Fruchtbarkeit – nicht nur der verheirateten Frau -, sondern auch des Lebens und deshalb war bei vielen Maibräuchen der mit Blättern oder Bändern gewundene Kreis einer der wichtigsten Kennzeichen für ein optimistisches, kommendes Jahr.

According to tradition, a wreath made of flowers was probably worn in the hair of young Germanic women at high festivals and was an expression of joy. In the Middle Ages, the custom was further consolidated and people wore wreaths on various occasions and festivals. In many places, the wreath in a woman’s hair was interpreted as a sign of her virginity and the custom of the bridal wreath developed from this. Undoubtedly, the wreath also signalled fertility – not only of the married woman – but also of life, and therefore in many May customs the circle wound with leaves or ribbons was one of the most important markers of an optimistic, coming year.

Wenn die Künstlerin Johanna Honisch einen mit Pflanzen bestückten Kranz in Gips nachformt, referiert sie auf verschiedenen Ebenen der Tradition und seiner Bedeutung: Aufgrund der Materialität werden die dargestellten Pflanzen vor einem Verfall bewahrt und nicht nur aufgrund der Form des Kreises die Unendlichkeit symbolisierend wieder gegeben, sondern die einzelnen Gewächse sind auch mit Attribuierung behaftet. Der Apfelbaum gilt in der europäischen Tradition als Symbol des Lebens und der Fruchtbarkeit. Jedoch verbindet die christliche Tradition mit diesem Gewächs auch den Verlust des Paradieses, da Eva Adam einen Apfel vom Baum der Erkenntnis reichte und Gott sie deshalb aus dem Garten Eden vertrieb. Eine Verdammnis, die weibliche Schmerzen bei der Geburt eines Kindes und die männliche, karge Arbeit auf hartem Ackerboden zur Folgre hatte und waren deshalb das kontinuierliche Gedenken an den Verlust des Paradieses.

When the artist Johanna Honisch recreates a wreath filled with plants in plaster, she refers to tradition and its meaning on various levels: due to the materiality, the depicted plants are saved from decay and not only symbolising infinity due to the shape of the circle, but the individual plants are also afflicted with attribution. In European tradition, the apple tree is regarded as a symbol of life and fertility. However, Christian tradition also associates this plant with the loss of paradise, since Eve handed Adam an apple from the tree of knowledge and God therefore expelled her from the Garden of Eden. A condemnation that entailed female pain in childbirth and male barren labour on hard arable land and were therefore the continuous commemoration of the loss of paradise.

 

Aufgrund ihrer Symbolik ordnete die Künstlerin die Pflanzen dem  Lebensalter zu und verwendet sie der Reihe nach, um den Zyklus darzustellen.

Because of their symbolism, the artist assigned the plants to the age of life and uses them in sequence to represent the cycle.

So galt etwa die Fetthenne als Heilpflanze für verschiedene gesundheitliche Beschwerden und war ein wichtiger Bestandteil eines Bauerngartens. Aufgrund ihres Aussehens im verblühten Zustand wird sie gerne von Gärtnern auch im Winter stehen gelassen und erst im Frühjahr bodennah zurückgeschnitten. Die fleischigen Blätter überleben auch Phasen der strengen Trockenheit und werden deshalb als ausdauernde, kaum pflegende Pflanze geschätzt.

The stonecrop was considered a medicinal plant for various health complaints and was an important component of a cottage garden. Because of its appearance when withered, gardeners like to leave it standing even in winter and only cut it back close to the ground in spring. The fleshy leaves also survive periods of severe drought and are therefore valued as a perennial that requires little care.

Die nach Europa importierte Hortensie wird mit Hochachtung und mit Weiblichkeit assoziiert, finden sich doch ihre Blütenfarben überwiegend in verschiedensten Pastelltönen wieder. Als gärtnerisch nicht gerade leicht zu betreuende Pflanze macht ihre Blühfreudigkeit und Standfestigkeit, wenn sie sich auf ihrem Standort zurechtfindet, doch die Mühe wett und prägt in den Sommermonaten mit ihrem Aussehen so manchen Garten. Ihre verblühten Dolden werden erst nach dem Erwachen der Natur entfernt und oftmals zur Dekoration in den Wohnbereich integriert. Aufgrund ihrer zarten Farbigkeit und Blütengröße wird die Hortensie gerne in Blumengestecke und Blumenkränze verwendet und daher ist der Konnex mit Weiblichkeit nicht von ungefähr hergestellt.

Imported to Europe, the hydrangea is associated with respect and femininity, as its flower colours are predominantly found in a wide range of pastel shades. As a plant that is not exactly easy to look after, its joy of flowering and stability, when it finds its way around its habitat, makes up for the effort and makes its mark on many a garden with its appearance in the summer months. Its faded umbels are only removed after nature has awakened and are often integrated into the living area for decoration. Because of its delicate colour and flower size, the hydrangea is often used in flower arrangements and wreaths and therefore the connection with femininity is not made by chance.

Finden sich nun in Johanna Honischs Arbeit Abgüsse dieser Pflanzen, wird der erste Eindruck des Symbols, der Geschichte und Tradition sowie Bedeutung des Kranzes, um eine tieferliegende Ebene bereichert.

If casts of these plants are found in Johanna Honisch’s work, the first impression of the symbol, the history and tradition as well as the meaning of the wreath, is enriched by a deeper level.

(Text: Gabriele Baumgartner)

Homepage Johanna Honisch: https://johannahonisch.com/

 

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