Schöne analoge Welt: Sarah Mang

 Ein Blogbeitrag von Kuratorin Gabriele Baumgartner im Rahmen der aktuellen Ausstellung „schöne analoge Welt„:

 Die Distanz, die zwischen dem Kunstwerk und seinem Betrachter doch spürbar bleibt, wenn in gewissem Abstand das Sehen und das intellektuelle Begreifen einsetzt, wird mit einer einfachen Berührung zu einem völlig veränderten Sinneserlebnis und sogleich zu einem Naheerlebnis: Der Tastsinn befähigt uns Menschen Objekte und Menschen anders wahrzunehmen. Die Haptik, die Temperatur und die gesamte Form wird mit den kleinen Nervenrezeptoren in unserem größtem Organ – der Haut – auf eine andere Stufe gestellt. Sobald die Finger mit sanftem oder größerem Druck die Landschaften, Wandobjekte oder Rauminstallationen von Sarah Mang befühlen, ändert sich das Bild in uns. Es wird uns nicht nur emotional näher, sondern ruft in unserem Gedächtnis andere oder weitere Assoziationen ab, als nur ein Blick es vermögen würde.

Die Evolution hat die Bedeutung des Tastsinnes auch dementsprechend forciert, sodass er als erster der Sinne in der langsamen Menschwerdung im Körper der Mutter sich entwickelt. Martin Grunwald, der Leiter des Haptik-Forschungslabors an der Universität Leipzig äußert in einem Interview 2014: Der Tastsinn ist ein Lebensprinzip, ohne ihn gibt es kein LebenEs werden Menschen blind oder taub geboren, aber ohne den Tastsinn ist noch niemand auf die Welt gekommen. ……

Menschen mit einer Schwäche ihres Sehsinnes oder Blinde können mit Hilfe ihrer Finger die Landschaften, Zeichnungen, Skulpturen oder Texte der Künstlerin erfühlen und an der Kommunikation mit ihr teilnehmen. So erkennen sie, welche Botschaften Sarah Mang ihnen mitteilen möchte und auf andere Weise nicht ausgesprochen werden können.

Gerade Kinder weisen den inneren Drang auf, nicht nur mit ihren Augen zu sehen, sondern auch ihre Finger als Unterstützung einzusetzen und so die neuen Reize in ihrer Gesamtheit zu erfassen und verstehen zu lernen. Leider wird in unserer Gesellschaft – gerade, wenn es sich um ein Verständnis für Kunst handelt und deren „Begreifen“ – ausschließlich die intellektuelle Ebene forciert. Dabei wäre oft ein Begreifen mit Hilfe des Tastsinnes eine neue Erfahrung und ein meist einfacherer Zugang, um ein Kunstwerk in seiner Gesamtheit zu erfassen. Deshalb sind Sarah Mangs Arbeiten eine Bereicherung, da jeder Mensch sie erfühlen und verstehen lernen kann und nie von einer Kommunikation mit der Künstlerin ausgeschlossen wird.

 

Gabriele Baumgartner, 2022